Konfessionsfrei Kompakt Nr. 2

Kein islamisches Sonderarbeitsrecht – Äquidistanz des Staates zu Kirchen und Moscheen: Religiöses Sonderarbeitsrecht jetzt abschaffen!

Was tun?

Der Staat muss Äquidistanz zu allen Religionen wahren. Weltliches Recht für alle ist der Schlüssel zur Gleichbehandlung in einer weltanschaulich pluralen, multireligiösen Gesellschaft. Die Abschaffung des kirchlichen Sonderarbeitsrechts ist notwendig, bevor islamische Sonderarbeitsrechte und sonstige neue religiöse Nebenrechtsordnungen entstehen. Nur so kann die Einheit des Rechts gewahrt werden und nur so können alle Beschäftigten, unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit ihres Arbeitgebers, den gleichen arbeitsrechtlichen Schutz genießen. Zwei gesetzliche Änderungen sind nötig:
▪ Ersatzlose Streichung von § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
▪ Ersatzlose Streichung von § 9 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ebenso wie § 20 Abs. 1 Ziffer 4 AGG

Katholische und evangelische Sonderarbeitsrechte

Der Staat gewährt den Kirchen als Arbeitgebern und ihren Vereinen Caritas (katholisch) und Diakonie (evangelisch) ein eigenes Sonderarbeitsrecht. Das Grundgesetz legt jedoch klar fest (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 WRV), dass auch sie „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ agieren müssen. Diese kirchlichen
Sonderarbeitsrechte diskriminieren über 1,8 Millionen Beschäftigte. Denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nicht nur zu Loyalität gegenüber kirchlichen Leitbildern und Normen gezwungen (die inzwischen von vielen Bürgerinnen und Bürgern, etwa im Hinblick auf sexuelle Selbstbestimmung, abgelehnt werden), sondern müssen
auch die Einschränkung grundlegender Arbeitnehmerrechte (etwa des Streikrechts) hinnehmen.

Caritas und Diakonie sind in Deutschland die größten Arbeitgeber nach dem Staat. In vielen Regionen sind sie die einzigen oder größten Träger von Kitas, Sozialeinrichtungen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, selbst in Gegenden, in denen sehr große Teile der Bevölkerung nicht (mehr) kirchlich orientiert sind. Die Kosten haben die kirchlichen Träger weitgehend an den Staat oder die öffentlichen Sozialsysteme externalisiert (vgl. Caritas-Legende), jedoch bestehen sie auf der Personalhoheit mit kirchlichem Sonderarbeitsrecht. Faktisch werden viele Beschäftigte zur Mitgliedschaft in der Kirche gezwungen, um ihre berufliche Stellung zu sichern. Einstellungs- und Aufstiegschancen werden Konfessionsfreien und Andersgläubigen strukturell verwehrt. Beispielsweise durfte eine Muslimin laut Kirchengesetz der rheinischen Landeskirche zwar ausnahmsweise in einer Kita beschäftigt werden, jedoch keine Gruppenleitung übernehmen. Die kirchlichen Sonderarbeitsrechte sind ungeeignet für eine moderne, plurale und multireligiöse Gesellschaft.

Verfassungsgebot der Gleichbehandlung: Was bedeutet das für den Islam?

Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zur Gleichbehandlung aller Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften. Solange die Kirchen Sonderrechte im Arbeitsrecht genießen, können auch Moscheevereine und Islamverbände dieselben Rechte fordern und durchsetzen. Dies hätte die Einführung von islamischen Sonderarbeitsrechten zur Folge. Während die Mitgliederzahlen der Kirchen in Deutschland stark rückläufig sind, wächst der Anteil der islamischen Bevölkerung. Heute werden knapp 4 % der Gesamtbevölkerung dem Islam zugerechnet.
Besonders deutlich zeigen sich die bevorstehenden Veränderungen in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland: Dort stammen heute etwa 20 % der Schülerinnen und Schüler aus islamisch geprägten Elternhäusern.

Diese Entwicklung hat politische und gesellschaftliche Folgen. Moscheevereine und Islamverbände erhalten eine immer bedeutendere Rolle in der Gesellschaft und streben teilweise – wie die Kirchen – den Aufbau von Anstalten des öffentlichen Rechts, Unternehmen und Trägervereinen im sozialen Sektor an, wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Dies könnte zu einer weiteren Verbreitung von religiösen Sonderarbeitsrechten führen, die erhebliche Diskriminierungen am Arbeitsplatz ermöglichen.

In der Debatte um den Status und die Rechte islamischer Sozialträger haben Vertreter der Islamischen Theologie mit Bezug auf das katholische Sonderarbeitsrecht folgerichtig angeregt, dass konkretisiert werden müsse, inwiefern islamische Träger in das Privatleben ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingreifen dürfen (Ceylan/Kiefer:
Muslimische Wohlfahrtspflege in Deutschland, 2016). Dies würde jedoch erhebliche Probleme schaffen: Die Einheit der Rechtsordnung wäre gefährdet, da das individuelle und kollektive Arbeitsrecht durch zusätzliche religiös basierte Vorgaben weiter aufgespalten würde.

Islamische Sonderarbeitsrechte

Klare, einheitliche Regelungen für ein islamisches Sonderarbeitsrecht liegen nicht vor. Hier ist eine Skizze der möglichen neuen islamischen Nebenrechtsordnungen: Ein schiitisch geprägtes Sonderarbeitsrecht könnte je nach Binnenregelung des Sozialträgers verschiedene Vorschriften umfassen, die den Arbeitsalltag und die Privatsphäre von Beschäftigten und ihren Angehörigen stark beeinflussen. So gibt es bei Zwölfer-Schiiten oder Siebenerschiiten strikte Regelungen zu religiöser Kleidung und Essenspflichten, Gebetspflichten sowie klare Vorgaben hinsichtlich Homosexualität und sexueller Selbstbestimmung. Geschlechtertrennung und die Ungleichbehandlung von Frauen sind ebenfalls prägend. In schiitischen Arbeitsstrukturen gibt es eine religiöse Hierarchie, die bis zum obersten religiösen Führer reicht, z. B. einem Ayatollah. Diese Hierarchien beeinflussen das Arbeitsleben, insbesondere durch religiöse Vorgaben, die die Freiheit und Gleichberechtigung der Beschäftigten und ihrer Angehörigen beschränken. In Deutschland stammen die meisten Schiiten aus dem Iran, dem Libanon und dem Irak. Der in diesen Herkunftsländern praktizierte schiitische Islam könnte Einfluss auf die Ausgestaltung der schiitischen Sonderarbeitsrechte und Normen in Deutschland nehmen.

Die religiösen Loyalitätsanforderungen sind je nach sunnitischer Rechtsschule (Madhhab) unterschiedlich stark ausgeprägt. Strikte Vorschriften zu Bekleidung, Essgewohnheiten und Gebetszeiten könnten ebenfalls den Arbeitsalltag bestimmen und die Nicht-Konformität mit den sunnitischen Normen mit disziplinarischen Maßnahmen sanktioniert werden. Zu den wichtigsten Herkunftsländern für Sunniten in Deutschland gehören die Türkei, Syrien, Bosnien-Herzegowina, Afghanistan, Pakistan, Albanien und Tunesien. Der in diesen Herkunftsländern praktizierte sunnitische Islam könnte die Sonderarbeitsrechte und Normen der Religionsgemeinschaften in Deutschland beeinflussen. Im Fall des größten Islamverbandes in Deutschland ist dies sogar sehr wahrscheinlich: Denn die
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) untersteht der direkten Kontrolle der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die wiederum von der türkischen Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan gesteuert wird. Zusätzlich gibt es im sunnitischen Islam weitere Strömungen, wie den Salafismus und
Wahhabismus. Diese Strömungen fordern eine Rückbesinnung auf den „reinen“ Islam der Frühzeit und könnten zu besonders restriktiven Regelungen führen, insbesondere im Hinblick auf Homosexualität, sexuelle Selbstbestimmung, Geschlechtertrennung und die Rechte von Frauen.

Unter den Sondergruppen ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland (AMJ) hervorzuheben, da ihr von den Landesregierungen in Hessen (2013) und Hamburg (2014) Körperschaftsstatus verliehen wurde. Der oberste Kalif sieht sich als Mohammed-Nachfolger und trat mehrfach mit diskriminierenden Äußerungen über Konfessionsfreie
und Atheisten hervor. Aus ihren Einrichtungen in Deutschland sind fundamentalistische, islamistische und demokratiefeindliche Inhalte dokumentiert; so wird ein „Endsieg des Islam“ angestrebt. Die damit verbundenen Normen könnten Ahmadiyya-Sonderarbeitsrechte prägen.

Rechtzeitige Abschaffung des kirchlichen Sonderarbeitsrechts

Es ist entscheidend, das kirchliche Sonderarbeitsrecht rechtzeitig abzuschaffen. Ansonsten wird in absehbarer Zeit die religiös motivierte Diskriminierung im Arbeitsrecht auf weitere Religionsgemeinschaften und deren religiöse Sozialträger ausgedehnt. Nur so kann der Staat sicherstellen, dass alle Beschäftigten in Deutschland unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit denselben arbeitsrechtlichen Schutz genießen. Um die Entstehung islamischer und auch sonstiger zusätzlicher religiöser Sonderarbeitsrechte zu verhindern, sind die folgenden zwei gesetzlichen Anpassungen notwendig.

  1. Ersatzlose Streichung: § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
    Der § 118 Abs. 2 BetrVG, der Religionsgemeinschaften und ihre karitativen Einrichtungen von der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes ausnimmt, wird ersatzlos gestrichen. Damit würden die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften denselben arbeitsrechtlichen Regelungen unterworfen wie alle anderen Arbeitgeber in Deutschland. Aktueller Wortlaut (kann wegfallen): Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform.
  2. Ersatzlose Streichung: § 9 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ebenso wie § 20 Abs. 1 Ziffer 4 AGG
    Der § 9 AGG, der eine unterschiedliche Behandlung von Beschäftigten wegen ihrer Religion oder Weltanschauung in religiösen Einrichtungen erlaubt, wird ebenfalls gestrichen. Diese Norm geht über die Norm aus der EU-Richtlinie 2000/78/EG hinaus. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil 8 AZR 501/14) und des Europäischen Gerichtshofs (Urteil C-414/16) zeigt, dass bereits eine ausreichende Rechtfertigung in §8 Abs. 1 AGG vorhanden ist, wenn eine religiöse Identifikation wesentlich für die jeweilige Tätigkeit ist.

    In § 9 Abs. 1 AGG wird dem Arbeitgeber die unterschiedliche Behandlung von Beschäftigten aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung schon dann erlaubt, wenn dies dem Selbstverständnis der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft entspricht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Regelung aus europarechtlicher Sicht bereits für unanwendbar erklärt. Daher sollte der deutsche Gesetzgeber diese Bestimmung ohnehin streichen, ebenso wie § 20 Abs. 1 Ziffer 4 AGG, um Diskriminierung am Arbeitsplatz zu verhindern und europarechtlichen Vorgaben gerecht zu werden.

    Aktueller Wortlaut (kann wegfallen):
    § 9 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung
    (1) Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
    (2) Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht der in Absatz 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.

    Ebenso: § 20 Zulässige unterschiedliche Behandlung

    (1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung … 1., 2., 3.,

    Aktueller Wortlaut (kann wegfallen):
    4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe
    machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.

Weltliches Arbeitsrecht als Schlüssel zur Gleichbehandlung

Durch diese gesetzlichen Änderungen wird sichergestellt, dass das Sonderarbeitsrecht für alle Religionsgemeinschaften abgeschafft wird und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder der ihres Arbeitgebers gleich behandelt werden. Weltliches, säkulares Recht für alle ist auch hier der Schlüssel zur Gleichbehandlung in einer weltanschaulich pluralen, multireligiösen Gesellschaft.

Weiterführende Informationen

  • Ceylan, Rauf / Kiefer, Michael: Muslimische Wohlfahrtspflege in Deutschland. Eine historische und systematische Einführung. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2016.
  • Kreß, Hartmut: Kirchlich getragene Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens: Neue Vorlagefrage an den Europäischen Gerichtshof. MedR 42, 580–585 (2024). https://doi.org/10.1007/s00350-024-6807-7
  • Kreß, Hartmut: Die neue „Grundordnung“ des katholischen kirchlichen Arbeitsrechts – zwiespältig und am kirchlichen Eigeninteresse orientiert. Weltanschauungsrecht Aktuell | Nummer 6 | 20. Dezember 2022. https://weltanschauungsrecht.de/sites/default/files/download/weltanschauungsrecht_aktuell_6_1.pdf
  • Kreß, Hartmut: Die Mitarbeitsrichtlinie der evangelischen Kirche von 2023: Ein Verlegenheitsdokument mit neuer Intransparenz. Weltanschauungsrecht Aktuell | Nummer 7 | 22. August 2023. https://weltanschauungsrecht.de/sites/default/files/download/weltanschauungsrecht_aktuell_7_22_08_23.pdf
  • Schubert, Jens M.: Neues zum Kirchenarbeitsrecht? – Hoffentlich!. NZA 21, 1374–1376 (2023).
  • Sloane-White, Patricia: Corporate Islam. Sharia and the Modern Workplace. Cambridge University Press, 2018.
  • ver.di Bundesverwaltung (Hg.): Kirchliche Mitbestimmung im Vergleich. Aktualisierte Fassung. Berlin 2020.

01. Oktober 2024

Erstellt von Philipp Möller und Lutz Neumann im Rahmen des Projektes Artikel 140 für den Zentralrat der Konfessionsfreien – die NGO für säkulare Politik in Deutschland. Beratend haben mitgewirkt: Mina Ahadi, Vorsitzende des von ihr mitgegründeten Zentralrats der Ex-Muslime und sonstiger nichtreligiöser Menschen e.V., Yahya Ekhou vom Vorstand der Säkularen Flüchtlingshilfe Deutschland e.V., Hartmut Kreß vom Beirat des Instituts für Weltanschauungsrecht und Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der von ihm mitgegründeten Giordano-Bruno-Stiftung.

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