„Haltung von Merz in Abtreibungsfrage verstärkt Misstrauen in Politik”

Pressemitteilung

Der Zentralrat der Konfessionsfreien kritisiert den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz scharf für seinen Auftritt in der ARD-Sendung „Wahlarena”, wo er sich am 17. Februar 2025 (Min. 24:10) für die Beibehaltung des § 218 Strafgesetzbuch (StGB) ausgesprochen hat. Aus Sicht des Zentralrats ignoriert Merz damit nicht nur die religiös und weltanschaulich neutrale Verfassungsordnung, sondern auch den eindeutigen Mehrheitswillen in der Bevölkerung: Rund 80 Prozent der Menschen in Deutschland sprechen sich für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aus. Zudem behauptet Merz in der Sendung mehrfach, die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin (Kom-rSF) sei „sehr einseitig“ besetzt gewesen, ohne dies jedoch zu belegen. 

Screenshot aus der ARD-Sondersendung „Wahlarena zur Bundestagswahl 2025”

Der Vorsitzende des Zentralrats Philipp Möller erklärt: „Ich bin keineswegs überrascht, dass Friedrich Merz an der Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs festhält. Irritierend ist jedoch, dass er als Kanzlerkandidat der Partei mit den aktuell besten Umfragewerten den Wählerwillen so eklatant ignoriert. Die Haltung von Friedrich Merz in der Abtreibungsfrage geht an 80 Prozent der Bevölkerung vorbei – auch an vielen Mitgliedern seiner Partei sowie an Christinnen und Christen, die sich in den Kirchen und in Frauenverbänden engagieren. Damit untergräbt Merz das Vertrauen in die Repräsentativität unserer Demokratie und gefährdet ihre Stabilität – in der jetzigen Situation ist das unverantwortlich.“

In einem Schreiben an den CDU-Kanzlerkandidaten beleuchtet der Zentralrat die von Merz angeführten Punkte kritisch und schlägt ihm vor, im Falle einer Regierungsbeteiligung eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches auf den Weg zu bringen. Mit Blick auf den religiösen Hintergrund des § 218 StGB appelliert der Zentralrat: „Achten Sie das Recht auf Weltanschauungsfreiheit nicht-religiöser Menschen!”


Das Schreiben an Friedrich Merz im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Merz, 

mit großer Verwunderung haben wir am Montag in der ARD-Sondersendung „Wahlarena” Ihre Antwort auf die Frage verfolgt, warum Sie und die CDU trotz der klaren Mehrheitsmeinung von rund 80 Prozent der Bevölkerung an der Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 StGB festhalten. Sie entgegneten unter anderem, dass eine Entkriminalisierung einen „großen gesellschaftlichen Konflikt“ verursachen würde, und wiederholten dreimal den unbegründeten Vorwurf, die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin (Kom-rSF) sei „sehr einseitig“ besetzt gewesen.

Diese Einschätzung können wir nicht nachvollziehen. Der Kommission gehörten Fachleute aller Disziplinen an. Zudem hat die Kommission die Stellungnahmen zahlreicher zivilgesellschaftlicher Verbände eingeholt und in einer Gruppe, der wir ebenfalls angehörten, Vertreterinnen und Vertreter verschiedener religiöser Organisationen konsultiert.

Mit Blick auf eine religiös-weltanschaulich neutrale Gesetzgebung halten wir folgende Punkte für entscheidend:

  1. Keine einseitige religiös-weltanschauliche Festlegung
    Persönliche Auffassungen und Lebensweisen – auch als „christlich“ angesehene Haltungen – dürfen nicht der gesamten Gesellschaft gesetzlich aufgezwungen werden. Die Kommission verweist in ihrem Abschlussbericht explizit auf die erforderliche weltanschauliche Neutralität der Gesetzgebung (S. 36): 

„Rechtliche Regulierung darf sich in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht einseitig weltanschaulich festlegen, sondern sie muss im Sinne der Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität eine Vielfalt an ethischen Überzeugungen ermöglichen und schützen – stets auf der Grundlage und im Rahmen der Verfassung.”

Man kann eine persönliche Auffassung haben und danach leben, aber man kann diese Auffassung und eine dementsprechende Lebensweise nicht der ganzen Gesellschaft gesetzlich aufzwingen.”

  1. Verfassungsrechtliche Argumentation ist fragwürdig
    Die von Ihnen zitierten Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1993/1995 haben zwar versucht, die „Menschenwürde” des „ungeborenen Lebens” mit dem Grundgesetz und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) zu begründen. Dies war aber juristisch nicht möglich, weil Art. 1 Abs. 1 GG sich auf die AEMR bezieht, in der es eindeutig heißt, dass alle Menschen gleich an Recht und Würde „geboren“ sind – nicht aber „gezeugt”. Um Embryonen und Föten als Grundrechtsträger zu beschreiben, dessen Interessen gleichberechtigt mit den Interessen ungewollt Schwangerer zu berücksichtigen sind, haben die Richter auf einen antiquierten Rechtstext zurückgegriffen: das „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten” von 1794. Dieses Gesetz Preußens ist jedoch in relevanten Punkten nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und lehnte den Schwangerschaftsabbruch im 18. Jahrhundert aus vollkommen anderen Gründen ab.
  1. Religiöse Begründung ist kein hinreichendes Argument
    Der vermeintliche Konflikt zwischen dem Lebensrecht von Embryonen und Föten sowie dem Selbstbestimmungsrecht der Frau existiert lediglich für Personen, die dem katholischen Dogma der Simultanbeseelung aus dem Jahr 1869 anhängen, auf dessen Basis der Schwangerschaftsabbruch im Jahr 1871 kriminalisiert wurde. Bis heute konnten keine Gründe für die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vorgebracht werden, die sowohl weltanschaulich neutral als auch verfassungskonform und rechtswissenschaftlich konsistent sind.

Wir respektieren selbstverständlich, dass es für Menschen Gründe geben mag, eine ungewollte Schwangerschaft aus persönlichen oder religiösen Motiven nicht abzubrechen. Dieses Recht und diese persönliche Entscheidung bleiben auch ohne Kriminalisierung gewahrt.

Ein Festhalten an der Kriminalisierung hingegen missachtet den Wählerwillen von 80 Prozent der Bevölkerung. Damit untergraben Sie das Vertrauen in die Repräsentativität der Demokratie und gefährden ihre Stabilität – das ist unverantwortlich. 

Daher bitten wir Sie insbesondere für den Fall, dass Sie Regierungsverantwortung übernehmen: 

  • Respektieren Sie den Willen der Bevölkerung und stärken Sie damit das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in den demokratischen Rechtsstaat!
  • Achten Sie das Recht auf Weltanschauungsfreiheit nicht-religiöser Menschen! Laut einer Studie der EKD spielt Religion für 81% der Menschen in Deutschland keine oder nur eine geringe Rolle.
  • Ermöglichen Sie eine verfassungskonforme Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches, um Versorgungslücken zu schließen und Betroffene zu entlasten!

Im Anhang erhalten Sie unsere Stellungnahme an die Arbeitsgruppe 1 der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. Bei Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Philipp Möller