Zum heutigen Beginn des Kirchentags blickt der Vorsitzende des Zentralrats der Konfessionsfreien, Philipp Möller, mit großem Interesse nach Hannover. „Wir freuen uns, dass die Säkularisierung der Gesellschaft auch den Kirchentag immer stärker erfasst”, so Möller. „Als staatlich subventioniertes Pop-Event mit dem Fokus auf Politik statt Religion und einem säkularen Kulturprogramm ist der Kirchentag in Hannover voll im gesellschaftlichen Megatrend: Religion wird zur Nebensache.”
Protestantisch-politische Bubble statt religiösem Profil
Die Säkularisierung des Kirchentags zeige sich bereits darin, dass kaum religiöse Themen, sondern politische und gesellschaftliche Fragen im Mittelpunkt stehen. „Die Verteidigung der Demokratie, eine gerechte Arbeitswelt oder Umweltschutz haben nichts mit Religion zu tun”, stellt Möller fest. Stattdessen würden politische Bekenntnisse eingeholt, wie es Ende März in Hannover geschah mit der „Resolution des Niedersächsischen Landtages zum Evangelischen Kirchentag 2025 und zur besonderen Bedeutung der Kirchen und des interreligiösen Dialoges in Niedersachsen” (Drs. 19/6904), die der HVD Niedersachsen bereits fundiert kritisiert hat. In diesem Papier werde die gesellschaftliche Funktion der Kirchen und des Kirchentags maßlos überbewertet, so Möller. „Das Wunschdenken der protestantisch-politischen Bubble hat mit der gesellschaftlichen Realität Deutschlands nur wenig zu tun.”

Kirchentag als Forum für zeitgemäße Religionspolitik
Auch die Auswahl der prominenten Gäste unterstreicht laut Möller den Trend der Säkularisierung. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker aus dem In- und Ausland seien engagiert worden – „von Ricarda Lang bis Barack Obama”. Zwar würden sich bei Kirchentagen erfahrungsgemäß nicht alle Podiumsteilnehmer der Bundes- und Landesregierungen als Repräsentanten des säkularen Staates verhalten, räumt Möller ein. Mit Blick auf das weit verbreitete Misstrauen in die Politik sei es jedoch dringend geboten, dass demokratisch gewählte Amtsinhaber sich ihrem Amt entsprechend äußern und den säkularen Willen der Bevölkerung respektieren. Wer sein politisches Mandat ausnutzt, um den kirchlichen Veranstaltern und den Kirchentagsbesuchern nach dem Munde zu reden, findet Möller, ignoriert die absoluten Mehrheiten für säkulare Politik – und das sei in Anbetracht populistischer Erfolge gefährlich und verantwortungslos. „Wer morgen noch regieren will, muss heute klarmachen, dass Deutschlands Religionspolitik von gestern ist.“
Ein Kirchentag werde laut Möller nur dann der gesellschaftlichen Realität gerecht, wenn dort anerkannt werde, dass das veraltete Staatskirchenrecht ein guter Nährboden für schlechte Entwicklungen ist – auch, weil es von Akteuren des Politischen Islam für den eigenen Vorteil und gegen den liberalen Rechtsstaat genutzt werde. Deshalb sei es wichtig für die gesamte Gesellschaft, dass sich die Kirche dem schrittweisen Abbau ihrer Sonderrechte und Subventionen nicht länger entgegenstellt. „Ein moderner Kirchentag muss auch ein Forum für die Debatte um die Modernisierung der Religionspolitik sein.” Im Vorfeld sei dazu wenig erkennbar gewesen.
Religiöse Rituale eher abschreckend
Der Trend zur Säkularisierung spiegele sich in folgenden Entwicklungen: Wie bei früheren Kirchentagagen werden in Hannover zwar auch viele religiöse Aktivitäten angeboten; mit Ausnahme des Eröffnungs- und Schlussgottesdienstes seien diese aber immer weiter an die Ränder platziert worden. „Die Veranstalter des Kirchentags sind professionell genug, um die Ergebnisse der eigenen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zu kennen”, so Möller. „Deshalb stellen sie religiöse Rituale nicht ins Schaufenster – weil sie eher Besucher abschrecken als anlocken.”
Ebenso aufschlussreich sei das weitgehend säkulare Kulturprogramm des Kirchentags, bei dem Popmusiker wie Max Herre und Joy Denalane sowie der kirchenkritische Bodo Wartke auftreten. „Für einen Auftritt von Jupiter Jones braucht Deutschland keinen staatlich subventionierten Kirchentag”, so Möller. Musikfestivals werden von privaten Anbietern ohne Steuersubventionierung organisiert. „Und statt ‘Fusion Rave‘ und ‘Workshops’ hätten sich manche Besucher im ‘Zentrum Kirchenmusik’ vielleicht eher Bach, Brahms und Mendelssohn Bartholdy gewünscht.” Gleichzeitig bewertet Möller es als positiv, dass sich der Evangelische Kirchentag auch dezidiert dem „Glauben in einer säkularen Welt” öffne. So gebe es einen Auftritt des Philosophen Michael Schmidt-Salomon zum evolutionären Humanismus oder einen Stand der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland auf dem „Markt der Möglichkeiten”.
Finanzierung aus Steuergeldern
Ein zentrales Thema bleibt für Möller die Finanzierung des Kirchentags. Die stabil hohe Staatsquote von etwa 50 Prozent beim Veranstaltungsbudget von 25 Millionen Euro bezeichnet er als untragbar. Obwohl die Evangelische Kirche in Deutschland als Großgrundbesitzerin und Anteilseignerin zahlreicher Unternehmen über ein milliardenschweres Vermögen verfüge, nehme der Deutsche Evangelische Kirchentag Zuschüsse aus allgemeinen Steuergeldern in Anspruch – und zwar aus hochverschuldeten öffentlichen Haushalten des Bundes, des Landes Niedersachsen und der Stadt Hannover. Dies wird seit über zehn Jahren bei jedem Kirchentag von der Kunstaktion „Das 11. Gebot” kritisiert – unter dem Motto: „Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!”. In Hannover wird sie wieder im Innenstadtbereich präsent sein.
Durch die zunehmende zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit entstehe ein erhöhter Druck auf die staatliche Finanzierung des Kirchentags, so Möller. Es sei wichtig, dass es zu einer besseren Transparenz und Rechenschaftslegung über Zweck und Verwendung der Mittel gegenüber der Öffentlichkeit komme. Dies sei vom kirchlichen Rechtsträger in der Vergangenheit eher lax gehandhabt worden, ohne dass die staatlichen Stellen kontrollierend eingegriffen hätten.
Religion schützt vor Transparenz nicht
„Im Interesse der Steuerzahlenden sind zu den letzten Kirchentagen mehrere Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt worden”, berichtet Möller, „aber das Finanzgebahen der kirchlichen Trägervereine ist weiterhin nur bruchstückhaft offengelegt. Für den Kirchentag in Hannover werden wir die Transparenz über den gesellschaftlichen Zweck und die Mittelverwendung erneut und verstärkt einfordern”, so Möller. Den Wirtschaftsbetrieb des Kirchentags mit über einhundert Angestellten sowie die Höhe der Gehälter der leitenden Funktionär:innen bezeichnet Möller als „Black Box”. Die Kenntnis der Fakten seien für die Rechenschaftslegung über die staatliche Förderung aber ebenso relevant wie Vortragshonorare, Ausschreibungsverfahren und Beleglisten über die korrekte Verwendung der Mittel durch die Empfänger sowie Klarheit über Gewinne und Verluste. Philipp Möller: „Wer Steuergelder bekommt, muss Rechenschaft über ihre Verwendung ablegen – Religion schützt vor Finanztransparenz nicht.”