Steuer-Mehreinnahmen in Milliardenhöhe: Kirchensteuer im EStG nicht länger bevorzugen
Was tun?
Fast jedes Jahr nimmt der Deutsche Bundestag Änderungen am Einkommensteuergesetz (EStG) vor. Das Zeitfenster zum Handeln ist geöffnet, um pro Legislaturperiode rund 18 Milliarden Euro (jährlich zuletzt 4,6 Milliarden Euro) Steuermehreinnahmen zu erzielen, die in wichtigen Politikfeldern eingesetzt werden können: Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Modernisierung der Infrastruktur usw. Dies kann wie folgt erreicht werden:
- Ersatzlose Streichung des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG
Kirchliche Bevorzugung als Ausgangslange
Die Kirchensteuer ist in voller Höhe von der Einkommensteuer absetzbar. Hingegen ist die
Absetzbarkeit von Spenden und Aufwendungen für andere (nicht-kirchliche) Organisationen wie Gewerkschaften, Hilfswerke und gemeinnützige Vereine begrenzt. Die Bevorzugung der vollumfänglichen steuerlichen Absetzbarkeit der Kirchensteuer ist im § 10 Abs. 1 Nr. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) festgeschrieben.
18 Milliarden Euro Steuer-Mehreinnahmen pro Legislaturperiode möglich
Die Kirchen erhalten über 12 Mrd. Euro Kirchensteuer pro Jahr, wovon die Kirchenmitglieder effektiv (nach Absetzung) rund 8 Milliarden Euro zahlen – die Differenz zahlt die Allgemeinheit über die Absetzbarkeit der Kirchensteuer. Aufgrund der aktuellen EStG-Regelung entgehen dem Staat im Jahr 2024 mehr als 4,6 Mrd. Euro Steuereinnahmen (vgl. Grafik), wovon etwa 2 Mrd. Euro auf den Bund entfallen. In der aktuellen Legislaturperiode entgehen Bund und Ländern rund 18 Mrd. Euro (Gesamtsumme für vier Jahre).
Kirchliche Spitzenverdiener profitieren
Diese EStG-Regelung stellt eine Subvention dar, die in den Subventionsberichten der Bundesregierung aufgeführt wird. Somit wird die unbegrenzte Absetzbarkeit der Kirchensteuer letztlich auch von den 54 Prozent der Bevölkerung mitgetragen, die keine Kirchenmitglieder sind. Der Subventionsanteil pro Kirchensteuerzahler hängt vom individuellen Grenzsteuersatz ab, welcher wiederum vom Einkommen abhängt.
Somit ist der Subventionsanteil bei evangelischen oder katholischen Spitzenverdienern am höchsten. Im Bereich „Einkommen- und Körperschaftssteuer“ des Subventionsberichts wird keine andere Bevölkerungsgruppe großzügiger von der öffentlichen Hand gefördert.
In der Praxis zahlt z. B. eine konfessionsfreie Supermarkt-Kassiererin im Niedriglohnsektor ihren Gewerkschaftsbeitrag oder spendet an die AWO, kann diese Ausgaben jedoch nicht in voller Höhe steuerlich geltend machen. Gleichzeitig trägt sie mit ihren Steuern dazu bei, dass der evangelische oder katholische Inhaber der Supermarkt-Kette seine (hohe) Kirchensteuer in vollem Umfang von der Einkommensteuer absetzen kann.
Keine Anspruchsgrundlagen
Laut Subventionsbericht werden die Kirchen aus „kirchen- und sozialpolitischen Erwägungen“ begünstigt. Soweit ersichtlich greifen diese Erwägungen heute nicht mehr; juristisch betrachtet liegt hier ein Wegfall der Anspruchsgrundlagen vor. Nach aktuellen Untersuchungen ist offenbar heute folgende Situation eingetreten: Die
jährlichen Subventionen von 4,6 Milliarden Euro übersteigen die Gesamtsumme, die von den Kirchen für soziale und gemeinnützige Zwecke eingebracht wird. Insgesamt ist festzustellen, dass eine Gesamtsumme nur schwer zu kalkulieren ist, da in dem Bereich der Kirchenfinanzen eine erhebliche Intransparenz vorliegt.
Bislang haben Bund, Länder und die Rechnungshöfe keine Informationen zu den folgenden sechs Fragen bereit gestellt:
- Ist das Subventionsziel hinreichend klar definiert?
- Ist das Ziel aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive gerechtfertigt?
- Ist die Subvention effektiv, d. h. erreicht sie ihre Ziele?
- Ist die Subvention die geeignete Intervention zur Zielerreichung
oder gibt es bessere Alternativen? - Ist die Subvention effizient ausgestaltet?
- Welche Kosten sind damit verbunden?
Wenn derart grundlegende Informationen jedoch nicht erhoben sind und die Anspruchsgrundlagen nicht gegeben sind, liegt der folgende Schluss nahe:
Die Subvention der Kirchensteuer ist eine milliardenschwere Verschwendung von Steuermitteln.
Umstrittene Regelung
Die Deutsche Bischofskonferenz und andere kirchliche Interessenvertreter argumentieren gegenüber den Abgeordneten des Bundestages, dass der Sonderfall der unbegrenzten steuerlichen Absetzbarkeit der Kirchensteuer verfassungsrechtlich wegen der Religionsfreiheit geboten sei. Das Kirchenmitglied könne sich der Kirchensteuerpflicht nicht entziehen, wenn es in Ausübung seiner Religionsfreiheit der Kirche angehört, weshalb der Staat die unbegrenzte Absetzbarkeit gewährleisten müssen.
Dies ist jedoch juristisch umstritten. Erstens steht im Grundgesetz nichts von der steuerlichen Absetzbarkeit der Kirchensteuer. Zweitens wird das Grundrecht auf Religionsfreiheit nicht automatisch verletzt, wenn der Staat die Absetzbarkeit auf den für alle anderen geltenden üblichen Pauschbetrag deckelt. Es ist zudem nicht der Staat, der die Höhe der Kirchensteuer festsetzt. Die gesetzlichen Grundlagen für die Erhebung der Kirchensteuer werden zwar im Kirchensteuergesetz des jeweiligen Bundeslandes verankert, aber die eigentliche Entscheidung über die Höhe
der Kirchensteuer ist eine interne Angelegenheit der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Es sind die Kirchen, die den Steuersatz bestimmen, der auf die Lohn- und Einkommensteuer der Mitglieder angewendet wird.
Fazit: § 10 Abs. 1 Nr. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) sollte ersatzlos gestrichen werden.
27. September 2024
Erstellt von Philipp Möller und Lutz Neumann im Rahmen des Projektes Artikel 140 für den Zentralrat der
Konfessionsfreien – die NGO für säkulare Politik in Deutschland. Besonderer Dank gilt Carsten Frerk und Matthias
Krause für wertvolle Kommentare.
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