Säkulare Mehrheiten in Deutschland: Neue fowid-Studie zeigt klare Zustimmung zu religiös-weltanschaulich neutraler Politik

Die Menschen wollen politische Entscheidungen ohne religiöse Begründung – das zeigt eine neue repräsentative Umfrage. 84 Prozent der Bevölkerung fordern, dass politische Entscheidungen weltanschaulich neutral getroffen werden. So lautet eine der zentralen Erkenntnisse der Studie „Elf Fragen zu ‚Staat–Gesellschaft–Weltanschauung‘ 2025“ der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) unter Leitung von Dr. Carsten Frerk. „Wir sind nicht mehr bloß auf dem Weg in die säkulare Gesellschaft, sondern längst angekommen”, kommentiert Philipp Möller, Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien, die Ergebnisse der Studie. „Die Menschen wollen in einem weltanschaulich neutralen Staat leben. Deutschlands Religionspolitik muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden.“

fowid wollte wissen: Welche Werte, Sichtweisen und Erwartungen vertreten die Menschen heute, wenn es um das Verhältnis von Religion, Staat und Gesellschaft geht? Die Antworten sind eindeutig und von hoher politischer Bedeutung.

Auch Kirchenmitglieder befürworten säkulare Ethik

76 Prozent der Befragten finden, dass moralische Entscheidungen auf Vernunft und Mitgefühl beruhen sollten – nicht auf göttlichen Geboten. Besonders stark vertreten ist diese Position bei Konfessionsfreien (86 Prozent), aber auch Protestantinnen und Protestanten (72 Prozent) sowie Katholikinnen und Katholiken (66 Prozent) stimmen dem zu. „Auch Kirchenmitglieder entfernen sich von einer religiösen Moral hin zu einer säkularen Ethik“, freut sich Möller. 

Mehrheit teilt ein naturalistisches Weltbild

Laut der Befragung stimmen 64 Prozent der Bevölkerung einem naturalistischen Weltbild zu. Dieses Weltbild orientiert sich an Naturgesetzen und schließt übernatürliche Phänomene aus. „Wir finden es sehr erfreulich, dass der wissenschaftliche Blick auf die Welt inzwischen weitgehend normal ist. Dies gilt auch für die Mehrheit der Kirchenmitglieder“, fasst der Vorsitzende zusammen.

Überwältigende Zustimmung zu säkularer Politik

Auf besonders breite Zustimmung stoßen Fragen nach der weltanschaulichen Grundlage politischer Entscheidungen: 84 Prozent der Befragten finden, dass Politikerinnen und Politiker weltanschaulich neutral agieren sollten. „Die Menschen in Deutschland erwarten von der Politik, dass Entscheidungen auf allgemein zugänglichen und nachvollziehbaren Begründungen beruhen. Aus demokratischen Gründen ist es dringend nötig, dass Politikerinnen und Politiker diese Erwartungen des Wahlvolkes erfüllen.“

Auch für staatliche Institutionen fordern große Mehrheiten die Freiheit von religiösen Symbolen: 82 Prozent sprechen sich für eine konsequent weltanschauliche Neutralität von Gerichten, Schulen und der Polizei aus.

Klare Ablehnung religiöser Sonderrechte

Die Forderung nach Gleichbehandlung zieht sich durch viele Antworten. 75 Prozent lehnen eine Bevorzugung von Religionsgemeinschaften in Rundfunkräten ab. 65 Prozent sprechen sich gegen das Tragen religiöser Symbole – etwa des islamischen Kopftuchs – im Staatsdienst aus. 61 Prozent sind dagegen, dass katholische Krankenhäuser medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche verweigern dürfen.

„Nur eine Minderheit spricht sich dafür aus, religiöse Sonderrechte wie das kirchliche Arbeitsrecht auf islamische Organisationen zu übertragen. Das ist ein klares Signal für den Abbau religiöser Privilegien und für die Gleichbehandlung der Religionen mit der Zivilgesellschaft.“

Religion verliert an politischer Bindekraft

Die Studie zeigt nicht nur hohe Zustimmungswerte zu säkularen Positionen, sondern auch deutliche Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Besonders Konfessionsfreie und Wählerinnen und Wähler der Grünen zeigen große Geschlossenheit in säkularen Positionen. AfD-Wählerinnen und -Wähler befürworten mehrheitlich ein Kopftuchverbot, sind beim Thema christliche Symbole wie dem Gottesbezug im Amtseid jedoch gespalten. In der Wählerschaft der CDU/CSU zeigt sich bei symbolpolitischen Fragen eine erhebliche Streuung. Die SPD-Wählerschaft ist insbesondere in der Frage uneins, ob religiöse Sonderrechte ausgeweitet oder abgeschafft werden sollten.

„In einem Punkt herrscht jedoch in allen Teilen der Gesellschaft große Einigkeit“, fasst der Vorsitzende zusammen. „Die Forderung nach der weltanschaulichen Neutralität des Staates zieht sich wie ein roter Faden durch alle Weltanschauungen und Parteipräferenzen.“

Höchste Zeit für eine religionspolitische Zeitenwende

Die Ergebnisse der Umfrage bestätigen, was von Konfessionsfreien seit Jahren gefordert wird. „Die Mehrheit der Bevölkerung lebt und denkt säkular und erwartet zu Recht, dass die politisch Verantwortlichen dies nicht länger ignorieren“, sagt Möller abschließend. „Die Modernisierung der Religionspolitik ist längst überfällig: Ob beim Amtseid, der Kirchensteuer, dem Religionsunterricht oder der überproportionalen Beteiligung von Religionsgemeinschaften in staatlichen Gremien. Die gesellschaftlichen Mehrheiten sind der politischen Realität längst voraus. Deutschlands heutige Religionspolitik ist das Gegenteil dessen, was die Menschen wollen – sie muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Ein weltanschaulich neutraler Staat ist keine Utopie, sondern der demokratische Auftrag unserer Verfassung und Ausdruck einer nachweislich säkularen Gesellschaft.“


Zum Originalbeitrag auf fowid.de

Frerk, Carsten / Lenneper, Luisa / Schmidt-Salomon, Michael / Wolfram, Tobias (2025): Elf Fragen zu „Staat – Gesellschaft – Weltanschauung“ 2025. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zur weltanschaulichen Orientierung in Deutschland, veröffentlicht auf fowid.de am 5. November 2025. Online abrufbar: https://fowid.de/meldung/elf-fragen-staat-gesellschaft-weltanschauung-2025