Zehn Fragen und Antworten zur Suizidhilfe

Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht den § 217 StGB für nichtig erklärt. Mit diesem Paragraphen wurde 2015 die Suizidhilfe kriminalisiert. Die Streichung hat für Rechtssicherheit gesorgt und jenen Zustand wiederhergestellt, der vorher Jahrzehnte lang galt. Seit dem bahnbrechenden Urteil aus Karlsruhe gibt es jedoch viele parlamentarische Aktivitäten, die Suizidhilfe erneut zu regulieren, wobei Grundrechte am Lebensende erneut unzulässig eingeschränkt werden können. Aktuell liegen drei Gesetzesentwürfe vor, die am Freitag, 24. Juni, in erster Lesung in den Bundestag eingebracht werden.

Aus diesem Anlass haben wir ein Schreiben an Abgeordnete des Bundestags geschickt, in dem wir mit “zehn Fragen und Antworten” darlegen, warum es keiner Neuregelung bedarf und warum keiner der vorliegenden Gesetzesentwürfe in Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht – und deshalb keiner zustimmungsfähig ist. Dies haben wir auch in einer Pressemitteilung verbreitet.

Sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestages,

in absehbarer Zeit werden Sie darüber abstimmen, ob die Suizidhilfe in Deutschland einer gesetzlichen Neuregelung bedarf – trotz des wegweisenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020. Schon am 24. Juni kommt damit ein schwieriges Thema auf Sie zu, dem aber eine einfache Frage zugrunde liegt:

Wer darf über den Tod eines Menschen entscheiden? 

Politikerinnen? Ärzte? Angehörige? Bischöfe? Genau diese Frage hat das BVerfG bereits beantwortet: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.“ Der freiverantwortliche Suizid ist also ein Grundrecht. Und weil die Hilfe bei der Ausübung eines Grundrechts keine Straftat sein kann, wurde der § 217 StGB für nichtig erklärt.

Das Bundesverfassungsgericht hat damit jenen Rechtszustand wiederhergestellt, der bis zur Kriminalisierung der Suizidhilfe im Jahr 2015 über viele Jahrzehnte bestand. Das Urteil steht damit in Einklang mit der Stellungnahme, die einer unserer Mitgliedsverbände, die Giordano-Bruno-Stiftung, beim BVerfG eingereicht hatte. In der Verhandlung hatte ihr Vorstandssprecher Dr. Dr. h.c. Michael Schmidt-Salomon als einziger Sachverständiger argumentiert, dass die Verhinderung der Selbstbestimmung am Lebensende gegen Art. 1 GG verstößt, denn: 

„Die Würde des Einzelnen ist dadurch bestimmt, dass der Einzelne über seine Würde bestimmt.“

Das Urteil aus Karlsruhe hat damit Rechtssicherheit geschaffen. Mit der Debatte um eine Neuregelung der Suizidhilfe kommt daher nicht nur ein schwieriges Thema auf Sie zu, sondern auch ein unnötiges. Denn der Schutz des Lebens ist durch das Urteil und durch andere Strafgesetze bereits sichergestellt.

Die folgenden zehn Fragen und Antworten zur Suizidhilfe vermitteln Ihnen die Perspektive des Zentralrats der Konfessionsfreien. Wir sind ein Zusammenschluss säkularer Organisationen und setzen uns im Sinne der Verfassung für Selbstbestimmung und einen weltanschaulich neutralen Staat ein. Unsere politische Agenda legen wir Ihnen als Broschüre bei. Wir sind parteipolitisch ungebunden und finanziell unabhängig – auch von jeglicher Regulierung der Suizidhilfe.

Unser Schreiben an Sie ist daher allein davon motiviert, dem Grundgesetz Rechnung zu tragen. Bitte nehmen Sie sich einen Moment Zeit für unsere Argumente. Aus ihnen wird ersichtlich: Keiner der vorliegenden Gesetzentwürfe ist zustimmungsfähig, denn keiner steht in Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Vielen Dank!

Philipp Möller, Vorsitzender

Zehn Fragen und Antworten zur gesetzlichen Neuregelung der Suizidhilfe

1. Wer darf über den Tod eines Menschen entscheiden?

Nur der betreffende Mensch selbst, niemand anders. Laut Bundesverfassungsgericht umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht „als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.“ 1 (PM BVerfG) Freiverantwortlicher Suizid ist also ein Grundrecht, das bei der Gesetzgebung respektiert werden muss.

2. Mit welcher Begründung hat das Bundesverfassungsgericht den § 217 StGB für nichtig erklärt?

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbst- bestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“ (PM BVerfG)

3. Hat das Bundesverfassungsgericht den Bundestag mit einer Neuregelung der Suizidhilfe beauftragt?

Nein. Es hat diese Möglichkeit weder ausgeschlossen noch gefordert. Ganz explizit hat es hingegen angemahnt, der Gesetzgeber müsse bei einer Neuregelung „sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt“ (PM BVerfG) – dies gelingt keinem der drei Gesetzentwürfe, wie wir in Punkt 6 ausführlich darlegen.

4. Ist ein weiteres Gesetz nötig, um das Leben von Menschen zu schützen?

Nein. Die aktive Sterbehilfe ist als „Tötung auf Verlangen“ durch § 216 StGB reguliert, der von der Suizidhilfe nicht berührt ist. Jede Vermengung der Suizidhilfe mit der aktiven Sterbehilfe ist irreführend. Das drückt sich, intendiert oder nicht, in einer Formulierung aus, die sowohl Thomas Rachel (CDU) als auch Beatrix von Storch (AfD) in die Orientierungsdebatte eingebracht haben (S. 3420 ff.): Menschen sollen demnach „nicht durch die Hand anderer sterben, sondern an der Hand anderer.“ Bei der Suizidhilfe sterben Menschen aber eben nicht „durch die Hand anderer“, sondern durch die eigene Hand – und im Idealfall an der Hand ihrer Liebsten.
Suizidhilfe bei einem Menschen, der nicht freiverantwortlich handelt, wird ebenfalls durch verschiedene Normen im Strafrecht geahndet. All das galt aber auch schon vor der Entscheidung des BVerfG und wurde und wird weiterhin mit verschiedenen Regelungen des StGB gewährleistet. Das BVerfG hat in seinem Urteil schließlich anerkannt, unter welchen Bedingungen Hilfe beim freiverantwortlichen Suizid laut Grundgesetz geleistet werden darf.

5. Unter welchen Bedingungen darf Hilfe beim freiverantwortlichen Suizid geleistet werden?

Suizidhilfe darf nur dann geleistet werden, wenn der Entschluss auf einem „autonom gebildeten, freien Willen“ beruht; (1) wenn er also „unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung“ gefasst wurde; (2) wenn „dem Betroffenen alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte tatsächlich bekannt“ sind, „er über sämtliche Informa- tionen verfügt“ und „Handlungsalternativen zum Suizid erkennt“; (3) wenn „der Betroffene keinen unzulässigen Einflussnahmen oder Druck ausgesetzt ist“; (4) und „wenn der Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, von einer gewissen ,Dauerhaftigkeit‘ und ,inneren Festigkeit‘ getragen ist.“ (Rn 240 ff.)

6. Warum sollten Abgeordnete des Deutschen Bundestags keinem der drei vorliegenden Gruppenanträge zustimmen?

Weil keiner von ihnen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird.

Im Einzelnen begründen wir dies wie folgt:

  1. Der Gruppenantrag um Lars Castellucci (SPD) ignoriert das Urteil des BVerfG eklatant, indem er den § 217 StGB wörtlich wieder übernehmen will, obwohl dieser für nichtig erklärt wurde. Die Ausnahmen im geplanten Abs. 2 sind so eng gezogen, dass auch dieser Entwurf die „Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert“ und damit die „autonomiefeindliche Wirkung“ beibehält (PM BVerfG). Der vorgesehene
    „§ 217 a StGB – Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung“ würde die Informationsmöglichkeiten der Beteiligten einschränken und ist daher ebenso problematisch wie der zur Streichung vorgesehene § 219 a StGB. Zudem begründen viele Unterstützende dieses Antrags (Biadacz, Brehmer, Rachel, Hüppe) ihr Gesetzesvorhaben mit ihren persönlichen religiösen Ansichten. Dies widerspricht sowohl dem Verfassungsgebot des weltanschaulich neutralen Staates (Art. 140 GG) als auch dem Urteil, nach dem sich der Wille des Grundrechtsträgers einer Bewertung anhand religiöser Gebote entzieht (vgl. Rn 210). Durch die Aufhebung der Fraktionsdisziplin sind die Abgeordneten zwar nur ihrem Gewissen verpflichtet, aber das berechtigt sie nicht zur Missachtung des Grundgesetzes.
  2. Der Gruppenantrag um Katrin Helling-Plahr (FDP) ist in Teilen zu begrüßen, weil er das Selbstbestimmungsrecht weitgehend achtet und eine Regelung außerhalb des Strafgesetzes vorsieht. Jedoch stellte er keine Verbesserung der Situation dar, da er nicht geeignet wäre, Suizidhilfe in der Praxis zu ermöglichen. Drei maßgebliche Gründe sprechen dafür, es bei den Regelungen zu belassen, die sich aus dem Urteil des BVerfG ergeben:
    1) Das entsprechende Arzneimittel dürfte laut § 6 Abs. 3 nur nach Vorlage einer Bescheinigung über eine Beratung verschrieben werden. Daher handelt es sich hier um eine Pflichtberatung – und die wäre über die ohnehin schon bestehende ärztliche Aufklärungspflicht hinaus problematisch, weil sich Sterbewillige davon bevormundet und zur Rechtfertigung gezwungen fühlen können.
    2) Die gesetzlichen Wartefristen aus § 6 Abs. 4 können von Sterbewilligen als Qual oder Schikane empfunden werden und drängen sie unter Umständen in den gewaltsamen Suizid.
    3) Die in § 6 Abs. 6 vorgesehene Ermächtigung des Bundesgesundheitsministeriums, „das Nähere zur Suizidhilfe zu regeln“, würde Unklarheit schaffen und erneute Gefahren der Einschränkung von Grundrechten.
  3. Der Gruppenantrag um Renate Künast (Bündnis 90 / Die Grünen) kommt den Vorgaben des BVerfG und den deckungsgleichen Ansprüchen des Zentralrats der Konfessionsfreien am nächsten, weicht aber ebenfalls davon ab. In diesem Gesetzentwurf wird nämlich exakt jene „Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen“ vorgenommen, die das BVerfG dem Gesetzgeber explizit untersagt hat, weil diese Bewertung „dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd ist.“ (Rn 210) § 3 soll das „Verfahren des Zugangs in medizinischer Notlage“ regeln, „die mit schweren Leiden, insbesondere starken Schmerzen, verbunden ist.“ In diesem Fall dürften die behandelnden Ärzt:innen Suizidhilfe leisten; auch hier allerdings mit einer Wartefrist von zwei Wochen. § 4 hingegen soll ein „Allgemeines Verfahren des Zugangs“ regeln, das für Sterbewillige ohne medizinische Notlage gilt. Sie müssten in einem Antrag an die „nach Landesrecht zuständige Stelle“ „den Sterbewunsch und die Ursache hierfür“ bekunden und erläutern, „warum staatliche oder private Hilfsangebote nicht geeignet sind, den Sterbewunsch zu beseitigen“. Im Gegensatz dazu urteilt das BVerfG, die Entscheidung zum Suizid bedürfe „keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung, sondern ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“ (Rn 210) Könnten Sterbewillige selbst über den Weg entscheiden und wären frei von der Pflicht zur Rechtfertigung, wäre dieser Gesetzentwurf zwar ebenfalls redundant, aber akzeptabel.

7. Was schlägt der Zentralrat der Konfessionsfreien statt eines neuen Gesetzes vor, um das Grundrecht auf Suizidhilfe zu gewährleisten?

  1. Prävention von Verzweiflungssuiziden ist die erste und wichtigste Maßnahme. Auf gerade einmal 346 Beglei- tungen freiverantwortlicher Suizide, die im Jahr 2021 in Deutschland durchgeführt wurden, kommen über 9.000 Verzweiflungssuizide (2020) und nach seriösen Schätzungen mehr als 180.000 erfolglose Suizidversuche pro Jahr – viele dieser Fälle könnten mit einer geeigneten Prävention vermieden werden!
  2. Die Nachweispflicht der Freiverantwortlichkeit darf nie bei den Sterbewilligen liegen, sondern stets bei denen, die ihre Freiverantwortlichkeit anzweifeln.
  3. Heimbewohner:innen haben auch dann ein Grundrecht auf Suizidhilfe, wenn das Heim in kirchlicher Trägerschaft ist – auch die Kirchen als erklärte Gegnerinnen der Suizidhilfe müssen laut Grundgesetz „im Rahmen der für alle geltenden Gesetze“ agieren (Art. 140 GG).
  4. Die Aufklärung über das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben ist zentraler Bestandteil einer liberalen Regelung. Sowohl Ärzt:innen als auch Betroffene und deren Angehörige, aber auch alle anderen Menschen müssen über dieses Grundrecht und alle Möglichkeiten und Alternativen zur Suizidhilfe informiert sein.
  5. Beratungsangebote zur Suizidhilfe müssen schnell verfügbar, ergebnisoffen und stets freiwillig sein.
  6. Empirische Forschung zur Suizidhilfe verhindert Fehleinschätzungen und ungenaue Suizidstatistiken. Sie ist Voraussetzung für eine evidenzbasierte Gesetzgebung und legt Falschdarstellungen ihrer ideologischen Gegner offen.
  7. Natrium-Pentobarbital (NaP) muss als geeignetes Mittel zu einem Suizid verfügbar sein, zu dem sich ein Mensch aus einem „autonom gebildeten, freien Willen“ heraus entschlossen hat.
  8. Ob Palliativmedizin eine geeignete Alternative zur Suizidhilfe ist, entscheiden allein die Betroffenen selbst.
  9. Versorgungssicherheit mit Angeboten zur Suizidhilfe muss gewährleistet sein. Medizinisches Personal und andere relevante Berufe müssen über die rechtlichen, medizinischen, praktischen und ethischen Aspekte der Suizidhilfe in ihrer Aus- und Weiterbildung geschult werden. Niemand darf zur Suizidhilfe verpflichtet werden, aber der Lebensschutz wird verbessert, wenn diese Berufsgruppen die Kriterien der Freiverantwortlichkeit kennen.

8. Welche Probleme bringen die Begriffe „geschäftsmäßig“, „kommerziell“ und „Werbung“ mit sich?

Im juristischen Sprachgebrauch mögen diese Begriffe klar definiert und entsprechend korrekt sein, aber aus ihrem allgemeinen Sprachgebrauch folgen drei Probleme:

  • Sie sind irreführend und suggerieren, mit der Suizidhilfe würden wirtschaftliche Gewinne erzielt – dies ist aber falsch: Sterbehilfeorganisationen erzielen keine Gewinne, sondern erheben Kosten, die eine professionelle Beratung und Betreuung ermöglichen. Sie vermitteln Ärzt:innen, die die Suizidhilfe nach üblichen Standards als medizinische Dienstleistung abrechnen – genauso wie palliativmedizinische Dienstleistungen.
  • Die Begriffe lenken, absichtlich oder nicht, von den immensen wirtschaftlichen Interessen vieler Gegner der Suizidhilfe ab, die als Betreiber von Pflegeheimen oder Hersteller zahlreicher Arzneimittel sehr hohe Gewinne mit alten und sterbenden Menschen erzielen – mit toten hingegen nicht. Auch der von Katrin Helling-Plahr
    u. a. geplante Aufbau „flächendeckender und bundesweit niederschwelliger Beratungsmöglichkeiten“ würde einigen Organisationen große Betätigungsfelder mit staatlicher Förderung eröffnen.
  • Der von Castellucci u. a. geplante „§ 217 a StGB – Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung“ ist geeignet, das Informationsrecht von Betroffenen und Beteiligten sachwidrig einzuschränken. Eine anpreisende Werbung der Suizidhilfe lehnen auch wir entschieden ab, sprechen uns aber zugleich dafür aus, dass Ärzt:innen und andere relevante Berufsgruppen ihre Patienten vollumfänglich darüber informieren.

9. Wie gestaltet sich die Praxis der Suizidhilfe seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts?

Anlässlich des zweiten Jahrestags des Karlsruher Urteils hat einer unserer Mitgliedsverbände, die Giordano-Bruno- Stiftung, im Februar 2022 eine gemeinsame Pressekonferenz mit drei Organisationen abgehalten, die Suizidhilfe durchführen oder vermitteln:

  • Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) versteht sich als Patientenschutz- und Bürgerrechtsorganisation. Sie berät ihre rund 23.000 Mitglieder zu Patientenverfügungen und setzt sich dafür ein, „den Menschen ein unerträgliches und sinnloses Leiden zu ersparen und ihnen auch beim Sterben ihre Menschenwürde zu erhalten.“
  • Der Verein Sterbehilfe wurde 2010 gegründet, hat knapp 3.000 Mitglieder und verfolgt das Ziel, „Menschen ein selbstbestimmtes Sterben im eigenen Haus und im eigenen Land zu ermöglichen.“
  • Dignitas Sektion Deutschland e.V. wurde 2005 gegründet und bietet ein „ergebnisoffenes Beratungskonzept zu Palliativversorgung, Suizidversuchsprävention, Patientenverfügung und Freitodbegleitung“ an.

    Unter der Moderation von Ingrid Matthäus-Maier haben alle drei ihre Sicherheits- und Sorgfaltskriterien darge- stellt und berichtet, dass es keine Beanstandungen bei der polizeilichen Todesermittlung gab. Gemeinsam haben sie den „Berliner Appell“ erarbeitet und darin „10 Forderungen zur humanen Suizidhilfe“ formuliert. Über die Pressekonferenz wurde ausführlich berichtet, u. a. in der Tagesschau. Keine dieser drei Organisationen ist Mitglied im Zentralrat der Konfessionsfreien, so dass wir gänzlich unabhängig von ihnen sind und agieren. Wir sprechen uns lediglich dafür aus, bei der etwaigen Neuregelung der Suizidhilfe nicht nur Gegner anzuhören, sondern auch solche Organisationen, die über tatsächliche Erfahrungen damit verfügen. Wie viele Fälle von Suizidhilfe hingegen im Rahmen einer bestehenden Arzt-Patienten-Beziehung stattgefunden haben, ist nicht bekannt. Auch im Sinne der Transparenz sprechen wir uns deshalb für eine Enttabuisierung und empirische Erforschung der Suizidhilfe aus.

10. Welches Menschenbild liegt unserer Haltung zur Suizidhilfe zugrunde?

Wir vertreten dasselbe Bild des autonom entscheidenden Menschen, mit dem das Bundesverfassungsgericht sein Urteil begründet hat: „Der Verfassungsordnung des Grundgesetzes liegt ein Menschenbild zugrunde, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist.“ (Rn 274) Das Urteil ist daher ein echter Paradigmenwechsel, weg von der Gnade der Erlösung Schwerstkranker hin zum Grundrecht auf Autonomie für alle. Genau das begrüßen wir sehr, denn:

Als Konfessionsfreie glauben wir an ein Leben vor dem Tod. Wir sind daher immer auch Befürworter des Lebens und der Hilfe beim Leben – vor allem aber sind wir Befürworter der Selbstbestimmung und der Grundrechte. Denn menschliches Leben kann nur dann in Würde geführt werden, wenn der Mensch seine allgemeinen Persönlichkeitsrechte wahrnehmen kann. Das Recht auf Selbstbestimmung endet wie jedes Freiheitsrecht dort, wo die Freiheiten des anderen beginnen – und diese werden durch einen freiverantwortlichen assistierten Suizid nicht verletzt.

Eine Selbsttötung mag anderen unverständlich erscheinen, tragisch, vielleicht verachtenswert. Aber für die Gesetzgebung, urteilt das BVerfG, darf die persönliche Haltung zum Suizid keine Rolle spielen: „Die selbst- bestimmte Verfügung über das eigene Leben ist vielmehr unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde inne- wohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung; sie ist, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde.“ (Rn 211)

Einige Abgeordnete mögen dies mit ihrer Religion oder ihrer Weltanschauung nicht in Einklang bringen können, aber auch das hat das BVerfG in seinem Urteil bedacht: „Die Straflosigkeit der Selbsttötung und der Hilfe dazu steht als Ausdruck der verfassungsrechtlich gebotenen Anerkennung individueller Selbstbestimmung jedoch nicht zur freien Disposition des Gesetzgebers.“ (Rn 267) Religiöse Privatmeinungen sind ebenso das gute Recht eines jeden Menschen wie das Recht auf Konfessionsfreiheit. Das Menschenbild des Grundgesetzes jedoch stellt das Recht auf Selbstbestimmung in den Mittelpunkt – und das ist mit der heutigen Gesetzeslage garantiert.

Sie können nun dafür sorgen, dass es dabei bleibt.