Video: „Absolute Mehrheiten für säkulare Politik”

Am 11. September hat Philipp Möller als Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien einen Impulsbeitrag auf dem Parlamentarischen Abend „Säkulare Politik mit Schwarz-Rot“ gehalten. Darin umreißt er zentrale Reformbedarfe und legt dar, dass säkulare Politik ein demokratischer Auftrag ist – und eine große Chance auf eine gemeinsame Vision für Deutschland darstellt.

Die Rede von Philipp Möller im Wortlaut:

„Einen wunderschönen guten Abend allerseits und ganz herzlich willkommen auch von mir hier im Kaisersaal der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft.

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Mitglieder des Bundestags und ehemalige Mitglieder, werte Mitglieder der Landtage, liebe Freundinnen und Freunde aus den säkularen Verbänden: Ich freue mich sehr, Sie heute zu einer Premiere begrüßen zu dürfen – denn das hier ist der erste ausdrücklich säkulare Parlamentarische Abend in Deutschland. 

Es ist das erste Mal, dass ein zentrales Verfassungsprinzip dieses Landes – nämlich die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates – zum Gegenstand eines solchen Abends wird. Dass staatliches Handeln nicht religiös, sondern weltlich begründet sein soll: Das ist der säkulare Auftrag unserer Verfassung.

Und dass dies heute im Mittelpunkt steht, ist die Folge einer weiteren Premiere: Es gibt zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mehr Konfessionsfreie als Kirchenmitglieder. Die genauen Zahlen haben wir Ihnen auf einem Bleistift dargestellt: 47 zu 45. Wir haben dabei bewusst ein Schreibgerät mit kurzer Lebensdauer gewählt – denn diese Zahlen werden schon sehr bald überholt sein.

Und: Es ist auch das erste Mal, dass eine Bundestagsfraktion eine Sprecherin für Säkularität und Humanismus ernannt hat – liebe Katrin Michel –, und dass eine Partei einen gleichnamigen Arbeitskreis eingerichtet hat – mit dir, liebe Carmen Wegge, als eine der Sprecherinnen. Ich danke euch beiden herzlich für die Schirmherrschaft für diesen Abend. Das sollten wir heute auch ein bisschen feiern – und ich finde, das ist auch einen Applaus wert.

All diese Premieren belegen, dass Deutschland sich im Wandel befindet – im Wandel der Weltanschauungen. Und dieser Wandel lässt sich auf eine ganz einfache Formel bringen: 

Es gibt immer mehr Religionen, aber immer weniger Religiöse. 

Der Megatrend lautet also nicht „religiöser Pluralismus“, sondern vor allem Säkularismus. Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben in Konfessionsfreiheit.

Aber neben dieser Bestandsaufnahme betrifft meine wichtigste religionspolitische Botschaft für heute Abend eben nicht die formelle Mitgliedschaft, sondern die politischen Einstellungen der Menschen. Und hier ist die Botschaft glasklar: Es gibt in Deutschland absolute Mehrheiten für säkulare Politik.

Wir haben diese Mehrheiten auf dem Poster – und für Sie auch zum Mitnehmen im Flyer – dargestellt: als Koordinaten für eine zeitgemäße Religionspolitik, als Koordinaten zur politischen Orientierung. Denn diese Daten zeigen eine Diskrepanz zwischen dem Willen der Wählerinnen und Wähler und der politischen Realität.

Über die Daten sprechen wir gleich auf dem Podium. Ich greife drei Zahlen heraus:

Die erste Zahl betrifft die vielleicht bekannteste Verflechtung von Staat und Religion, und das ist die weltweit einzigartige Kirchensteuer und ihr Einzug durch den deutschen Staat. 74 Prozent der Menschen halten dieses System für nicht mehr zeitgemäß. Und die gute Nachricht ist: Wenn die Bundesländer per einfacher Mehrheit entscheiden würden, die Finanzämter von dieser Aufgabe zu befreien, würde ihnen das Grundgesetz dabei nicht im Wege stehen.

Die zweite Zahl betrifft ein zunehmend wichtiges Teilgebiet der Religionspolitik, nämlich die Islampolitik. 86 Prozent finden, dass islamische Organisationen, die ihre eigenen Gebote über das Grundgesetz stellen, verboten werden sollten. Man könnte sagen: eine Selbstverständlichkeit – aber wie wehrhaft unsere Demokratie hier in den letzten 20 bis 30 Jahren war, darüber sollten wir ganz dringend sprechen, und zwar bitte endlich mit den liberalen und den säkularen Muslimen.

Die dritte Zahl betrifft den Religionsunterricht, der in Deutschland ja getrennt nach den Bekenntnissen unterrichtet wird – und diesen getrennten Unterricht würden 72 Prozent der Deutschen ersetzen durch einen gemeinsamen Ethikunterricht. Auch hier: grünes Licht vom Grundgesetz – die bekenntnisfreie Schule ist in Artikel 7 Absatz 3 ausdrücklich vorgesehen.

Deutschlands Religionspolitik braucht also ein Update – und diese Daten zeigen, dass die Mehrheiten dafür nicht nur unter Konfessionsfreien bestehen, sondern auch unter Kirchenmitgliedern. 64 Prozent aller Deutschen sind der Meinung, dass Religion einen zu großen Einfluss auf die Politik hat; unter Kirchenmitgliedern ist der Wert nur minimal geringer. 81 Prozent sind sogar der Meinung, religiöse Organisationen sollten sich komplett aus der Politik heraushalten; bei Katholiken und Protestanten liegt der Anteil nur drei Punkte niedriger. 

In diesen absoluten Mehrheiten steckt aber nicht nur ein Auftrag an die Politik, sondern auch eine Chance. Die Chance, eine gemeinsame Vision für Deutschland zu entwickeln: die Vision eines säkularen Staates. Ich bin überzeugt, dass sich dieser Vision wirklich viele Menschen anschließen können: Religiöse wie Konfessionsfreie, Progressive wie Konservative, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund –, weil sie alle in diesem säkularen Staat einen Platz haben und frei sein dürfen: frei zum Glauben und frei vom Glauben; frei, nach ihrer Façon glücklich zu werden.

Religion, das dürfte inzwischen klar sein, eignet sich schon lange nicht mehr als gesellschaftlicher Kitt. Säkularität hingegen – das Bekenntnis zum bekenntnisfreien Staat – kann ein Verbindungselement in unserer pluralen Gesellschaft sein.

Um diese Vision vom „Staat ohne Gott” zu schärfen, müssen wir über das Verhältnis von Religion und Rechtsstaat sprechen, und das hat kürzlich auch Bundeskanzler Friedrich Merz getan: Im Zusammenhang mit islamistischen Hochschulgruppen, die geschlechtergetrennte Veranstaltungen an deutschen Unis durchgeführt haben, hat der Bundeskanzler im Juli 2025 gesagt – Zitat: „dass Deutschland ein laizistischer Staat ist” – wortwörtlich: „dass wir hier eine strikte Trennung von Staat und Kirche haben”. Ich find das wirklich großartig, dass er das gesagt hat. Und so deutlich ist wirklich noch kein deutscher Bundeskanzler geworden. Auch diese Selbstverständlichkeit, mit der er von der „strikten Trennung von Staat und Kirche” gesprochen hat – die gibt es zwar nicht, aber die sollte es geben. 

Denn die Aussagen des Bundeskanzler werfen berechtigte Fragen auf:

Wie wollen wir ernsthaft behaupten, in Deutschland seien Staat und Kirche voneinander getrennt, wenn der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft vor einer staatlichen Behörde erfolgen muss?

Wenn der Staat die Kirchensteuer nicht nur über die Finanzämter einzieht, sondern auch zu fast 40 Prozent staatlich subventioniert und dabei laut Subventionsbericht fast 5 Mrd. € pro Jahr ausgibt – allgemeine Steuergelder, also etwa das Siebenfache der heiß diskutierten Staatsleistungen?

Wie können wir von einer strikten Trennung von Staat und Kirche sprechen, wenn an staatlichen Schulen ein Religionsunterricht erteilt wird, der nicht integriert, sondern separiert – nämlich nach dem Glauben der Eltern – und der eben keine Erkenntnisse vermittelt, wie an Schulen sonst üblich, sondern religiöse Bekenntnisse; und zwar – Zitat Bundesverfassungsgericht – religiöse Bekenntnisse als bestehende Wahrheiten, die dann auch noch komplett aus Steuergeldern finanziert werden?

Wie wollen wir ernsthaft von Trennung sprechen, wenn Religionsgemeinschaften eigene Arbeitsrechte haben, mit denen sie Schwule und Lesben, Kirchenaustreter oder Wiederverheiratete fristlos entlassen dürfen?

Eigene Arbeitsrechte übrigens, mit denen sie Schwangerschaftsabbrüche in ihren Einrichtungen pauschal verbieten können – und das, wie im aktuellen Fall Prof. Volz in Lippstadt, nicht nur in den Einrichtungen in ihrer Trägerschaft, sondern auch sogar in privaten Praxen der Ärztinnen und Ärzte – und zwar selbst dann, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. All das, obwohl das Grundgesetz eindeutig vorschreibt, dass Religionsgemeinschaften – Zitat: „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes” agieren müssen.

Wie wollen wir von einer Trennung sprechen, wenn in politischen Reden und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder die Caritas Legende wiederholt wird? Nach der die Kirchen so viel Gutes tun – ja, tun sie – Dabei aber verschwiegen wird, dass sie all das Gute in Caritas oder Diakonie von uns allen, von der Öffentlichkeit bezahlt wird.

Von diesen Beispielen könnte ich noch zahlreiche mehr bringen, aber nur eine Frage noch:

Wie wollen wir das Vertrauen der Menschen in den säkularen Rechtsstaat bewahren, wenn wir Kirchen erlauben, ihre eigenen sexuellen Verbrechen aufzuklären?

Das sind die brisanten religionspolitischen Fragen unserer Zeit, und diese Fragen müssen die Befürworter all dieser Sonderrechte nicht in erster Linie mir beantworten, sondern ihren Wählerinnen und Wählern – und, zurück zur Aussage des Bundeskanzlers, auch den Vertretern eines Politischen Islam. Nicht dem Islam als spiritueller, liberaler Religionsgemeinschaft, sondern dem Politischen Islam als totalitäre Herrschaftsideologie, die der offenen Gesellschaft den offenen Kampf angesagt hat.

Wir sind als Zentralrat Teil des Arbeitskreises Politischer Islam, des AK Polis, dem zahlreiche Expertinnen und Experten angehören, und auch liberale, säkulare Muslimen.

Einige von ihnen sind heute hier – und es ist nicht meine, sondern eure Diagnose: Die deutsche Islampolitik ist weitgehend gescheitert, denn sie hat Integration verhindert und Extremisten gestärkt. Und Islampolitik ist Religionspolitik – hier zeigt sich unmittelbar, dass Religionspolitik ein kritisches Update braucht, auch ein schnelles. 

Denn der politische Islam reicht von A wie Antisemitismus über F wie Finanzierung des Terrors, K wie Kalifat-Demos, R wie religiöses Mobbing an Schulen, S wie Scharia-Polizei, T wie TikTok-Islamismus bis Z wie Zwangsverschleierung.

Und dieser Politische Islam fällt in Deutschland auf den fruchtbaren Boden einer religionspolitischen Tradition mit zahlreichen Sonderrechten und Subventionen für die Kirchen – Privilegien, die Vertreter des politischen Islam längst für sich einfordern und die ihnen laut Grundgesetz auch zustehen.

Die zentralen religionspolitischen Fragen, die wir heute diskutieren wollen, lauten also:

Wann wird die Politik endlich dem Wunsch der Bevölkerung nach Säkularität gerecht?

Und wie will Deutschland die grundgesetzlich garantierte Gleichstellung der Religionsgemeinschaften herstellen?

Will es die Privilegien anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aufbauen, bis sie auf dem Level der Kirchen sind – oder will es umgekehrt die Kirchen mit dem Rest der Gesellschaft gleichstellen, also die Kirchenprivilegien nach und nach abbauen?

Die Bevölkerung ist hier glasklar säkular, aber welchen Weg wird die Politik einschlagen? 

Deutschland ist kein christliches Land. Deutschland hat eine christliche Vergangenheit, aber auch eine Geschichte der Aufklärung und eine weitgehend säkulare Gegenwart. Deshalb sollte Deutschlands Weg in die Zukunft ein säkularer Weg sein.

Dieser säkulare Weg schafft Vertrauen, weil er dem Wunsch der Wählerinnen und Wähler entspricht. Er schont die überlasteten Haushalte: Die Subventionen für Religionsgemeinschaften fließen zu etwa nur 10 Prozent in soziale Dienste, zu 90 Prozent in religiöse Angebote, die von 90 Prozent der Menschen nicht mehr wahrgenommen werden.

Säkularität ist ein Angebot an politische Parteien. Sie ist konservativ im besten Sinne: klar, maßvoll, ordnend. Sie ist sozialdemokratisch im besten Sinne: gerecht, schützend, solidarisch. Und sie ist liberal im besten Sinne: freiheitsliebend, rechtsstaatlich, plural. 

Wir, die säkularen Verbände Deutschlands, stehen für eine Gesellschaft, in der sich Religionsgemeinschaften an die gleichen Gesetze halten wie alle anderen Akteure der Zivilgesellschaft auch; und die auch religiös-spirituelle kulturelle Beiträge leisten – aber keine politischen.

Wir stehen für eine Gesellschaft, in der alle Menschen durch das gleiche Arbeitsrecht geschützt sind, in der keine ungewollt Schwangere durch ein religiös geprägtes Strafrecht kriminalisiert wird und in der ein selbstbestimmtes Leben ebenso normal ist wie ein selbstbestimmtes Sterben.

Kurz: Wir stehen für genau die säkulare Gesellschaft, die sich die Menschen zu absoluten Mehrheiten wünschen. Die heutige Religionspolitik ignoriert diese Mehrheiten, ebenso wie den säkularen Geist des Grundgesetzes – vor allem aber wird sie den heutigen Anforderungen unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht.

Wir müssen also reden, liebe Gäste: reden über die Modernisierung der Religionspolitik und über ihr großes Update namens Säkularität.

Darauf freue ich mich. Vielen Dank.”