Projektbeschreibung

Das Projekt Artikel 140 fördert die Umsetzung und Weiterentwicklung der Verfassungsaufträge aus Artikel 140 des Grundgesetzes, der die Trennung von Staat und Kirche regelt und die Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen garantiert. Ziel ist es, die Religionspolitik zu modernisieren und sie den Anforderungen einer zunehmend pluralen Gesellschaft anzupassen.

Im Fokus stehen der Abbau von religiösen Sonderrechten aus vordemokratischen Zeiten sowie die Förderung eines religiös-weltanschaulich neutralen Staates, wie es das Grundgesetz vorsieht. Das Projekt unterstützt Bemühungen in Politik und Verwaltung, unnötige religionsbezogene Belastungen öffentlicher Haushalte in Milliardenhöhe zu reduzieren, und zu einem gerechteren und demokratischeren Staat beizutragen.

Der Ansatz ist strategisch: Mit gezielten Reformvorschlägen soll das Grand Design des Verhältnisses von Staat und Religionen neu gestaltet werden. Gleichzeitig werden Teilreformen vorangetrieben, um schrittweise Fortschritte zu erzielen. Dabei richtet sich das Projekt nicht gegen Religionen oder Gläubige, sondern setzt sich für eine Stärkung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit für alle ein – im Sinne der staatlichen Neutralitätspflicht und des Gleichbehandlungsgebotes.

Worum geht es?

Laut Grundgesetz Artikel 140 ist die Weltanschauung Privatsache. Dennoch erhalten Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdÖR) – eine der Besonderheiten des deutschen Staatskirchenrechts. Im Unterschied zu privatrechtlichen Organisationen profitieren sie zusätzlich von einem umfassenden Privilegienbündel auf folgenden Gebieten: Arbeitsrecht, Strafrecht, Steuererhebung und -vergünstigungen, Rundfunkrecht (Sendezeiten, Rundfunkrat), Insolvenzrecht, Schutz vor Zwangsvollstreckung, Kosten- und Gebührenrecht, Beamtenrecht, Bestattungs- und Friedhofsrecht, Datenschutzrecht, Denkmalschutzrecht, Jugendhilferecht, Melderecht. Vor über 100 Jahren hat Deutschland per Verfassung das Staatskirchentum beendet und sich zur religiös-weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Dieser Auftrag wurde 1949 ins Grundgesetz der Bundesrepublik übernommen, aber nie konsequent umgesetzt – bisher.

Mit dem Projekt Artikel 140 baut der Zentralrat der Konfessionsfreien seinen strategischen Ansatz aus, Politik und Verwaltung bei der Umsetzung und Weiterentwicklung des Artikels 140 des Grundgesetzes aktiv zu unterstützen.

Im Zentrum stehen die Prinzipien der Neutralität und der Äquidistanz des Staates zu allen Religionen. Das Projekt hat das Motto „Privilegien beenden. Demokratie stärken.“ und setzt gezielt Impulse für eine zeitgemäße Religionspolitik, die den Anforderungen einer zunehmend säkularen und pluralen Gesellschaft gerecht wird. Es strebt den Abbau von Sonderrechten und Subventionen der Kirchen an, bevor der Staat diese umfassend auf den Islam sowie andere Religionen und Weltanschauungen ausweiten muss – denn dazu ist er aus Gründen des Gleichbehandlungsgebotes verfassungsrechtlich verpflichtet.

Die gesellschaftliche Integrationsfähigkeit des Staates würde in seiner Gesamtheit in Frage gestellt, wenn wegen des Aufkommens islamischer und anderer Glaubensrichtungen (neben den christlichen) anstelle eines Abbaus eine Ausweitung der Sonderrechte und der milliardenschweren Subventionen erfolgt. Eine solche Ausweitung führt –  abgesehen von juristischen Konflikten mit den Anforderungen des Grundgesetzes – zu höheren staatlichen Ausgaben sowie einer weiteren Konfessionalisierung hoheitlicher Aufgaben etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen. Dies kann religiöse Konflikte innerhalb der Gesellschaft verschärfen.

Damit leistet das Projekt einen Beitrag zur Entlastung des Fiskus sowie zu einem gerechteren, neutraleren und demokratischeren Staat. Denn: Mehr säkulare Politik stärkt sowohl die Demokratie als auch die öffentlichen Finanzen.

Projektziele

  1. Umsetzung der Verfassungsaufträge aus Artikel 140 Grundgesetz.
  2. Modernisierung der Religionspolitik und der religionsbezogenen Rechtsnormen.

Hintergrund

Das Projekt Artikel 140 bezieht sich auf den gleichnamigen Artikel des Grundgesetzes, der 1949 aus den staatskirchenrechtlichen Artikeln der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 (Art. 136, 137, 138, 139, 141) gebildet wurde. Aus diesem Artikel bringt das Projekt konkrete Vorschläge in die Politik auf Bundes- und Länderebene ein.

Einerseits sollen die bislang uneingelösten Verfassungsaufträge wirksam umgesetzt werden, etwa:

  • keine Pflicht zur Offenbarung des religiösen Bekenntnisses (z. B. Angabe der Konfession auf der Lohnsteuerkarte),
  • Beschränkung der Rechte der Religionsgemeinschaften durch das für alle geltende Gesetz,
  • Beendigung der Finanztransfers in Form der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften,
  • Besetzung von Ämtern in religiösen Organisationen ohne Mitwirkung des Staates (z. B. Politische Klauseln, Ernennung von Bischöfen, Anstellungsvoraussetzungen in der Anstaltsseelsorge und Militärseelsorge)

Andererseits sind in den letzten über 100 Jahren neue Reformbedarfe aufgetreten. Während bei der Erstellung der staatskirchenrechtlichen Verfassungsartikel im Jahr 1919 noch etwa 98 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehörten, ist dieser Anteil heute auf rund 46 Prozent gesunken – mit weiterhin fallender Tendenz. Heute gehört also nur noch eine Minderheit der Bevölkerung den Kirchen an. Aus diesem Kreis der Kirchenmitglieder ist wiederum maximal ein Drittel genuin christlich – zwei Drittel der Kirchenmitglieder teilen kein spezifisch christliches Gottesbild. Die Daten der aktuellsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Themenfeld „Zur Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft“ zeigen, dass nur 13 Prozent der Bevölkerung sich als religiös einschätzen. Laut der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) sind lediglich rund 5 Prozent der Bevölkerung religiös aktiv, d. h. 95 Prozent der Bevölkerung stehen den Angeboten der organisierten Religionen fern.

Im Jahr der verfassungsgebenden Versammlung von Weimar, 1919, war das Kaisertum („Von Gottes Gnaden“) erst jüngst abgeschafft worden. Die Trennung von Staat und Kirche war eine recht neue Entwicklung, die durch Verfassungsartikel wie „Es besteht keine Staatskirche“ abgesichert werden musste. Erstmals konnte in Deutschland der Staat demokratisch regiert werden – jedoch unter teilweise noch jahrzehntelang fortdauernder Gegnerschaft aus der katholischen und evangelischen Kirche. Die Loyalität der Kirchen gegenüber der Demokratie wird seitdem durch finanzielle und rechtliche Vorteile, die der Staat den Kirchen gewährt, unterstützt. Heute kann jedoch allgemein davon ausgegangen werden, dass diese Loyalität auf eigenen Werten und gelebten Überzeugungen beruht und nicht mehr von den Steuerzahlern „erkauft“ werden muss. Die bevorzugte staatliche Behandlung der Kirchen wird heute zunehmend kritisch hinterfragt.

Dennoch nehmen die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts (KdÖR) im Staatsgefüge eine eigene öffentlich-rechtliche Rolle mit weitreichenden Sonderrechten ein. Einige Beispiele: Unter dem Deckmantel als KdÖR konnte jahrzehntelang ein System des sexuellen Missbrauchs von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen weitgehend ungestört bestehen und die klerikalen Täternetzwerke vor staatlichem Zugriff abgeschirmt werden. Die Kirchen genießen eine privilegierte Rolle bei öffentlichen Anlässen sowie bei psychologischen Diensten in der Bundeswehr, in Krankenhäusern und Strafanstalten. Sie profitieren im Immobiliensektor sowie in der Justiz von Gebühren- und Steuervergünstigungen, setzten teilweise Monopolstellungen im Gesundheits- und Sozialbereich durch. Sie schaffen öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse für Kleriker und Verwaltungsfunktionäre, ähnlich wie staatliche Stellen. Gleichzeitig entziehen sie sich den Transparenzanforderungen, die für andere Akteure im Rahmen der Lobbyismusregeln gelten.

Eine freiheitliche Gesellschaft kann nur bestehen, wenn der Staat sicherstellt, dass seine Rechtsnormen von allen beachtet werden. Der Staat muss jederzeit unmissverständlich klarstellen, dass Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und ihre Mitglieder nicht über oder neben dem Gesetz stehen, sondern sich ihm unterordnen müssen.

Die zahlreichen Mängel der Religionspolitik in Deutschland resultieren aus der Vermengung von Religion und Politik, die in vielerlei Hinsicht am KdÖR-Status des Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 5 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) festzumachen sind. Es handelt sich um einen deutschen Sonderweg. Weder zur Gewährleistung des Menschenrechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit, noch zur Sicherung der Freiheit der Vereinigung von Gläubigen in Kirchen oder anderen Religionsgesellschaften, ist ein besonderer Körperschaftsstatus erforderlich, wie die Regelungen in zahlreichen freiheitlichen Demokratien in Europa und auf der Welt zeigen. Auch in Deutschland reichen die zivilrechtlichen Regelungen des Vereinsrechts aus, um allen Organisationen gleiche Chancen auf gesellschaftliche Mitwirkung zu ermöglichen.

Neben den direkt mit Artikel 140 des Grundgesetzes verbundenen Reformbedarfen wie dem KdÖR-Status gibt es weitere politische Handlungsfelder, die zentrale Aspekte der Religionspolitik betreffen und modernisiert werden müssen. Dazu gehören unter anderem die Nutzung staatlicher Finanzämter zur Einziehung von Mitgliedsbeiträgen (Kirchensteuer), die Vermittlung religiöser Glaubenssätze „als bestehende Wahrheiten“ im Religionsunterricht an Schulen durch eigenes (aus allgemeinen Steuermitteln finanziertes) religiös gebundenes Personal (nach Art. 7, III Grundgesetz) sowie verschiedene weitere Bereiche der staatlichen Religionsförderung. Abgesehen von demokratietheoretischen Einwänden kann gegen diese Zustände angeführt werden, dass all diese Regelungen fiskalische Belastungen für Bund, Länder und Kommunen in Milliardenhöhe verursachen – ohne dass vom Staat über den genauen Umfang, die konkreten Ziele und die Ergebnisse Transparenz geschaffen und Rechenschaft abgelegt wird.

Nicht zuletzt bildet sich in diesem religionspolitischen Reformstau ein weiteres negatives Phänomen heraus, das sich in der Phase der aktuellen religiösen Pluralisierungsschübe infolge von Migrationsbewegungen aus islamisch geprägten Herkunftsländern zeigt. Dieses lautet zusammengefasst: Während das Beharren auf dem alten deutschen Staatskirchenrecht den Niedergang der Kirchen nicht dauerhaft aufzuhalten vermag, öffnet es zugleich Raum für die Forderung nach einer Ausweitung der bestehenden Sonderrechte und Subventionen auf den Islam. Diese Forderung ist legitim, sie bietet jedoch auch Strömungen des legalistischen Islamismus und anderen Formen des Politischen Islams (z. B. Erdogan-Islam, Muslimbruderschaft, Salafismus) einen Steigbügel, um über den Gleichbehandlungsgrundsatz staatliche Förderung wie die Kirchen zu erlangen.

All dies konnten die Verfassungsgeber in den Jahren 1919 und 1949 nicht voraussehen. Die damalige gesellschaftliche Relevanz der „Volkskirchen“ besteht nicht mehr. Während heute in der Gesellschaft große Mehrheiten für säkulare Positionen und für eine Modernisierung der Religionspolitik bestehen, finden sich diese Mehrheiten jedoch bislang nicht in den Regierungskoalitionen und Parlamenten von Bund und Ländern. Insofern klafft zwischen der Bevölkerung und der Politik ein größer werdender Spalt. Dieser Spalt ist der Demokratie auf Dauer nicht zuträglich.

Projektansatz

Umfassende Modernisierung: Grand Design und Teilreformen

Ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, in der heutigen Zeit tritt eine verfassungsgebende Versammlung in Berlin zusammen und formuliert den Artikel 140 des Grundgesetzes und weitere religionsbezogene Aspekte des Verfassungsrechtes neu. Würde dabei dasselbe herauskommen wie 1919 in Weimar oder 1949 in Bonn? Wenn die Versammlung repräsentativ ist für die heutigen Werte und die Einstellungen der Bevölkerung, wäre Ergebnis wohl eindeutig säkularer.

Das Projekt Artikel 140 setzt zur umfassenden Modernisierung der Religionspolitik auf zwei Ebenen an: Es sollen einerseits Debatten zum Grand Design des Staat-Religion-Verhältnisses angestoßen und unterstützt werden, die über bloße Nachbesserungen des Veralteten hinausgehen und in denen über die Grundprinzipien neu nachgedacht wird. Andererseits richtet sich der Projektansatz auch auf Teilreformen, mit denen schrittweise Verbesserungen erzielt werden können, z. B. Bekenntnisfreiheit in Schulen und fiskalische Entlastung durch Subventionsabbau.

Damit wird der Bereich des politisch und gesellschaftlich Akzeptablen Richtung Säkularismus erweitert. Wo dieser Meinungskorridor bereits breit genug ist, konzentriert sich das Projekt auf konkrete Reformschritte. Es unterstützt politisch Verantwortliche dabei, konsequent auf die Reformbedarfe einzugehen, die sich aus der wachsenden Konfessionsfreiheit und der religiös-weltanschaulichen Pluralität ergeben.

Um Missverständnisse zu vermeiden, sei klargestellt: Das Projekt stellt sich nicht gegen Religionen (und schon gar nicht gegen Gläubige), sondern es tritt ein für die Gleichbehandlung aller Religionen. Es gelten die drei Grundsätze der i) Religions- und Weltanschauungsfreiheit, ii) Trennung von Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und iii) deren Selbstverwaltungsrecht innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.

Systematischer Ansatz: Agenda, Arena und Allianzen im Policy Cycle

Anhand einer klaren, systematischen Methodik führt das Projekt für jede Intervention strategische Dossiers. Diese haben die Struktur: Agenda, Arena und Allianzen. Grundlage ist eine Analyse des Policy Cycles im jeweiligen Themenfeld und dessen kontinuierliches Monitoring. Es werden messbare Ziele und Meilensteine für den gesamten Veränderungsprozess definiert – von der Planung über die Durchführung bis hin zur Auswertung.

Prozesssteuerung in agilen Netzwerken

Jede Intervention ist in ihrem Themenfeld maßgeschneidert – mit unterschiedlichen Laufzeiten von 6 Monaten bis 5 Jahren. Das Projekt arbeitet in agilen Netzwerken mit Mandats- und Funktionsträger:innen auf den Ebenen von Bund und Ländern zusammen. Der Fokus liegt auf der Unterstützung relevanter Partner:innen, die als politische Champions letztlich die strategische Planung und Koordinierung der Veränderungsprozesse verantworten. Für das Gesamtprojekt gibt es eine Steuerungsgruppe, in der über 20 Personen mitwirken.

Transparenz

Das Projekt läuft seit Juli 2024. Die Startphase wird vom Zentralrat der Konfessionsfreien und einem Initiativkreis privater Geldgeber finanziert. Für weitere Spenden zum Ausbau der Aktivitäten ist der gemeinnützige Verein des Zentralrates offen: hier.

Die direkte Lobbyarbeit wird vorrangig vom Zentralrat betrieben. Der Verband ist im Lobbyregister für die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung registriert (Nr. R002762).

Aus den Dossiers des Projektes werden die Petiten und Argumente grundsätzlich von den beteiligten Mandats- und Funktionsträger:innen nach eigenem Ermessen verwendet und ggf. veröffentlicht. Ausgewählte Themenimpulse veröffentlicht auch das Projekt selbst. In konfessionsfrei kompakt (ISSN 2944-5949), der Online-Zeitschrift des Zentralrats der Konfessionsfreien, sind bislang erschienen:

  • Nr. 1 „Steuer-Mehreinnahmen in Milliardenhöhe: Kirchensteuer im EStG nicht länger bevorzugen“ (September 2024) Download (PDF)
  • Nr. 2 „Kein islamisches Sonderarbeitsrecht. Äquidistanz des Staates zu Kirchen und Moscheen: Religiöses Sonderarbeitsrecht jetzt abschaffen!“ (Oktober 2024) Download (PDF)
  • Nr. 3 „Experiment mit Künstlicher Intelligenz (KI) zum religionsbezogenen Verfassungsrecht: Artikel 140 des Grundgesetzes entfällt.“ (Januar 2025) Download (PDF)

Kontakt

Kommunikation und Interessenvertretung: Philipp Möller

Strategie und Projektmanagement: Lutz Neumann

E-Mail: projekt@artikel-140.de